Komentar von Frank Becker-Nickel:
Bravo! 80 Minuten bester geistvoller Unterhaltung!
Woody Allen: „Central Park West“.
Eine bitterböse Beziehungskomödie,
dargeboten von der Theatergruppe Olympiadorf im Juni 2013.
Es war die letzte Aufführung der Saison Sommer 2013. Wir wollen und können hier nicht vergleichen und auch nicht werten, ob es die beste war. Auf jeden Fall: Diese Darsteller mit dem viel zu bescheidenen Namen “Theatergruppe Olympiadorf” haben sich im Lauf der letzten Jahr unheimlich gesteigert. Mit Spannung erwartet man zu Recht jede neue Aufführung. Aber reden wir über diese.
Es waren rund 80 Minuten bester geistvoller Unterhaltung, wobei sich auf der sparsam, aber wirkungsvoll ausgestatteten Bühne mit einem solchen Tempo unterhalten wurde, dass man kaum den theaterüblichen Rotwein zwischendrin schlucken konnte, ohne den spannend-witzigen Faden zu verlieren. Nicht nur die Schauspieler wurden gefordert, auch das Publikum. Es hat sich gelohnt, der Funken sprang über.
Volles Haus. Und trotzdem mal wieder volles Bedauern über die wieder einmal fern Gebliebenen. Wo bleiben, wo blieben unsere gefühlten 7000 Einwohner? Das forum 2 liegt tief unten im Nadital, hat aber viel Niveau! Wie kann man das in Zukunft vermitteln?
Eine bitterböse Beziehungskomödie wurde im forum 2-Programm angekündigt. Aus den USA. Und dann von Woody Allen. Da keimt Erwartung auf. Woody Allen war 60 Jahre alt, als er das Stück schrieb. Wie brillant er ist, mag mancher erst und vielleicht ein bisschen spät in „Midnight at Paris“ festgestellt haben. Der Film lief übrigens auch im forum 2. Da war mehr der europäische Bezug, der in „Central Park West“ eher fern anklang. Oder ist es doch Spott des gefühlten Europäers über die Ami-Gesellschaft, die man nur zu gern imitierte? Man hörte aktuell von den jüngsten Abhörskandalen und hörte umso interessierter zu. Aber nichts davon, nur ein Spiegelbild einer Gesellschaft, wie wir sie manchmal von München auch zu kennen glauben. BussiBussi und so. Genau so verlogen, wie es sich gehört, um darüber schmunzeln und/oder sogar lachen zu können. Schickimickizicki-Gesellschaft. Ist es dann ein Wunder, dass gerade ein Münchner Ensemble derlei so überzeugend spielen kann, obwohl es amerikanisch ist und in New York spielt? „City Feeling in der Hofstatt“ statt ehemaliger Redaktion der „Süddeutschen“. Und gar „New York Living“ – Wohnen anstelle der ehemaligen Löwenbrauerei. Na dann!
Tempo, Witz, brillante Dialoge, manchmal ein verbales Feuerwerk. Ein Bühnenbild, das perfekt mit seinem Status-Inventar so perfekt zutreffend war; Kunst an der Wand, die man so oder so begreifen konnte (Peter Gödke). Brillant von Michaela Affmann inszeniert, sofort mit enormem Tempo startend, scharfzüngig, sich dialogisch pointiert und scharf wetzend, o Gott wie wir doch alles zu kennen glauben! Bussi-Bussi! Und dann geht die Freundin mit dem eigenen Ehemann oder der eigene Ehemann mit der Freundin… erschüttern kann diese Komödie wahrlich nicht mehr, Boulevard- und Regenbogenpresse sind voll von sowas. Es scheint unser Alltag zu sein. Man lästert und liest es heimlich und gern im Wartezimmer des Arztes (womöglich einen Psychoanalytikers). Erheitern kann dies umso mehr, wenn man sich selbst ein bisschen erkennt und die Rollen annimmt. Die Schauspieler haben es grandios geschafft. Es ist so, wie es ist. Ist es denn so, wie es ist? Allen Psychoanalysen zum Trotz?
Phyllis, ach Gott, was für ein Name für eine voll Fülle von Seelen-Erkenntnissen der anderen sich selbst übersehende Psychoanalytikerin, die damit tatsächlich ihr Geld verdient. Cornelia Wiedemann nahm das Tempo der Regie auf, meisterte ihre immer misslicher werdende Situation bravourös, war ein rührend ruhender Pol im Pool der exzellenten Schauspieler. Alles kreist um sie – und sie ist die letzte, die merkt, wie sie eingekreist wird: von der angeblich besten Freundin, die mit dem eigenen Mann ein Verhältnis hat. Trotz Psychoanalyse, die die Welt keineswegs besser macht als sie ist. Kein Wunder, dass das Stück nach einer kalten(?) Dusche beginnt.
Sie, die alles analysieren will, wird umrankt, geradezu umwuchert aber offensichtlich von niemand so richtig umgarnt, was man bei dieser selbstsicher-charmanten Darstellerin, die erst die Fäden in der Hand zu halten schien, dann aber letztendlich auch wie die anderen zu einer Marionette eines gesellschaftsüblichen Spiels wurde, eigentlich nicht ganz nachvollziehen kann. Überwältigt von einem dramatischen Geschehen, das wild über sie einstürzt, das aber ebenso alle um sie herum einstürzen lässt. Cornelia Wiedemann zeigt hier ein Meisterstück an Bühnenpräsenz, an tiefgründig-überzeugtem Analysieren und gnadenlosem Verkennen der wahren Verhältnisse. Scheinbar um die Seele wissend, wird sie selbst überrumpelt. Opfer der Freundin, die selbst wieder Opfer der jungen Juliet wird. Hauptopfer aber sind letztendlich die hilflos ange-trieb-enen Männer. Sehr böse. Aber wohl wahr!
Ihre Freundin Carol, so richtig schön oberflächlich gesellschafts-typisch, im Grunde eine undankbare Rolle. Aber derlei agile Typen können ja auch in der Realität des Lebens wunderbar schauspielern. Und so meistert Andrea Kuborn die hoffnungslose Schwärmerin und Träumerin, die ihren Mann wegen Sam verlassen will und zuletzt auch wieder von Sam verlassen wird. Ein Reigen, der mit einem Knalleffekt enden muss, wie er es dann auch in der Aufführung tut. Aber der wird weitergehen!
Da sieht man Carols Mann, den Schriftsteller Howard mit seinem witzigen Bäuchlein, das so überzeugend künstlich steht, dass man unwillkürlich seinen eigenen Bauch einziehen mag. Der schriftstellernde Jammerlappen, der von der Welt schreibt, ohne sie selbst richtig zu verstehen, eine gewisse erstarrte Liebesunfähigkeit im Rahmen seiner Ehe in ungelesene Romane verpackt. Der dann aber (man versinkt im Zuschauersitz) herrlich überzogen aufblüht und die Autorenschaft über sein eigenes Leben erringen will, als er die junge Juliet sieht: Sie tauge doch nur für ihn, nicht für diesen Sam. Der mittelalte fettbäuchige Mann auf der Jagd nach jungem Fleisch. Diese absolute Hilflosigkeit des scheinbaren Jägers. Herrlich amüsierend und voll von Hintergedanken vielschichtig dargestellt von Michael Licinac.
Und wer ist Sam? Diese Mann-Figur, von der dauernd die Rede ist? Man erwartet wer weiß wen. Dabei ist er, wenn er endlich die Bühne betritt, doch nur einer von vielen. Ein typischer, von sich überzeugter, also im Grunde rollenredlicher Mann, der unredlich wird, weil er sich um das, was ihm die Gesellschaft pro forma vorschreibt, nicht kümmern mag. Ein typischer Mann also, eine gespielte jagende Männlichkeit, die dann selbst gejagt und fast erlegt wird. Eine undankbare, wenn auch sehr verbreitete Rolle. Von Friedrich Götz aber überzeugt und überzeugend angenommen. Wieder möchte man im Sitz versinken… aber männerfeindlich?
Und zum Schluss ist es ausgerechnet Phyllis’ Patientin Juliet, die junge Studentin, die bereitwillig Sams Opfer und gleich darauf von Howards plötzlich aufbrechenden schriftstellerischen und roman-tischen Höhenflügen beeindruckt wird. Howard geht sehr überzeugend in seinem zweiten, dritten oder gar x-ten Frühling auf. Nur seinen Bauch einziehen kann er nicht. Den hat die Regie festgezurrt. Keiner kann eben aus seiner Haut.
Juliet, sozusagen die Jugend, (die vielleicht auch ihretwegen ungewohnt verbreitet im Publikum saß) wurde von Nadine Kuffner mit ehrgeizig-schwärmerischer Naivität und durchaus mit Kalkül gespielt. Selbst Opfer werdend, schafft sie schnell Opfer: der Schuss in den Arsch von diesem Sam, was man sehr doppeldeutig sehen kann. Dieser männliche Stereotyp merkt eben einfach nicht, was er macht, will es nicht merken, bis er dann den Schuss in seinen Hintern endlich merkt… merkt er dann wirklich etwas? Au Backe! Aber da fällt schon rasch der Vorhang. Das amerikanische Waffengesetz macht’s möglich! Vorhang zu. Applaus!
Ein brillanter Abend, ein witziges Stück, tolle Schauspieler, ein sichtlich amüsiert hörbar mitlachendes Publikum. Es war ein Vergnügen, dieser merkwürdigen Spezies Mensch mal wieder trotz aller Psychoanalysen so erkennend nahe zu sein. Erkennen wir uns selbst? Lernen wir daraus? Viel Beifall. Und hinterher Rot- oder Weißwein. Eine höchst erfreuliche Ensembleleistung, die letztendlich die Qualität eines überzeugenden Theaters ausmacht. Und zu dem ist die Theatergruppe Olympiadorf zweifellos geworden. Bravo für 80 Minuten bester geistvoller Unterhaltung!
(Fra‘BENI alias Frank Becker-Nickels)